Rally Austral

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Vieles, wenn nicht alles im Leben, hängt davon ab, ob man zur rechten Zeit am rechten Ort ist, bzw. ob man zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Die Frage nach dem Warum ist und bleibt unbeantwortet. Manche nennen es Schicksal, andere kümmert es nicht und einige suchen noch immer nach einer Antwort.

Die Rallye Austral erzählt von diesen Zeiten und Orten.

Aus dem Parque Nacional Patagonia kommend sind wir rechts auf die sagenumwobene Carretera Austral abgebogen. Eingebettet in unzugängliche Wälder, Berge, Gletscher und Fjorde verläuft sie über 1240 Kilometer durch den dünn besiedelten Süden Chiles. Was im Sommer eine prachtvolle, einzigartige Landschaft darstellt, wird im Winter zu einer unwirtlichen Gegend, in der man den Gewalten der Natur ausgesetzt ist. Nicht nur das, dieser Teil Chiles ist von Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Erdrutschen geprägt.

Nach zwei gescheiterten Versuchen, diesen abgeschnittenen Teil Chiles mit dem Rest des Landes zu verbinden, wurde unter Pinochet in den Siebzigern die Armee mit dem Bau der Straße beauftragt. Bei diesem Unterfangen haben jede Menge Soldaten ihr Leben verloren. Zur falschen Zeit am falschen Ort.

Eröffnet wurde die Straße 1988. 1996 wurde sie bis Puerto Yungay, etwas südlicher als der Punkt, an dem wir auf die Carretera Austral gestoßen sind, und erst im Jahr 2000 wurden die restlichen 100 Kilometer bis Villa O’Higgins fertiggestellt. Alles natürlich Schotterpiste. Addiere man zur Schotterpiste die harschen klimatischen Bedingungen und Fahrzeuge, die man in heimischen Gefilden nicht mehr auf der Straße antrifft, kann man anfangen, sich ein Bild vom Zustand der Straße zu machen.

Als wir auf die Carretera Austral abgebogen sind, lag eine wunderschöne Zeit hinter uns. Wir waren voll mit Eindrücken, man könnte auch sagen wir waren satt. Um dann noch Begeisterung zu erzeugen, bedarf es schon etwas Besonderes. Das waren die ersten 100 Kilometer auf der Carretera auch, nur leider nicht im positiven Sinne: Die Buckelpiste, oder wie man diesen Bombenteppich auch immer nennen mag, war reichlich befahren. Eine bunte Mischung aus ängstlichen Touristen, egoistischen Lastwagenfahrern, einheimischen Rasern und uns. Da Langsamfahren nicht meine Stärke ist, vor allem dann, wenn es nichts zu sehen gibt, da man sich die Schlaglöcher anschauen muss, und ich nicht nur beim Wandern gerne der Erste bin, habe ich mich also mit allen auf der Straße angelegt. Humphrey schoß über die Schlaglöcher, überholte in waghalsigen Manövern LKWs und Busse, drangsalierte ängstliche Touristen, endlich Platz zu machen, und gab sich nur den einheimischen Rennfahrern geschlagen. Während dieser 100 Kilometer beschäftigte uns nur eine einzige Frage: Was in aller Welt finden die Leute an der Carretera Austral so toll? Egal wie man es dreht und wendet, man kann mit Sicherheit sagen, dass jeder, der diese Straße hier fährt, zur falschen Zeit am falschen Ort ist.

Eines der gefeierten Highlights der Carretera sind die Capillas de Marmol, also die Marmorkapellen. Mussten wir uns natürlich anschauen, die Begeisterung hielt sich aber in Grenzen, da dies mit Wartezeit und einer Bootsfahrt in einer Gruppe verbunden war. Da hatten wir doch kürzlich schon mal Erfahrungen gemacht. War aber trotzdem ganz hübsch.

Nach 100 Kilometern bogen wir auf einen Seitenarm ab und fuhren entlang des Valle Exploradores. Ein Tal, das sich über knapp 90 Kilometer bis zur Bahia Exploradores am Pazifik zieht, in dem sich knapp 50 Gletscher befinden. Wir haben diese aber nicht wirklich gesehen, dafür aber jede Menge Wolken.

Plötzlich waren wir aber zur rechten Zeit, am rechten Ort. Auf dem Campingplatz La Nutria nahm uns Ricardo in Empfang, der selbst vor Jahren mit seinem Motorrad Patagonien bereiste und sich vor sieben Jahren aus der Hauptstadt Chiles in die Natur verabschiedete, um eben dieses Café mit Campingplatz zu eröffnen. Humphrey hat in Ricardo einen weiteren Bewunderer gefunden und wir hörten uns all die Tipps an, die Ricardo zu bieten hatte. Am Abend haben wir dann noch von seiner Mutter einen leckere Waffel bekommen, natürlich wie es sich für Chile gehört, satt mit Dulce de Leche.

Am nächsten Tag wollten wir, weil wir so großherzig sind, der Ecke noch eine weitere Chance geben. Wir sind also das Valle Exploradores weiter Richtung Küste gefahren. Leider haben sich die Wolken nicht gehoben, geschweige denn verflüchtigt. Ganz im Gegenteil wurde es immer trüber und regnerischer. Wir sind uns sicher, dass bei gutem Wetter das Tal extrem beeindruckend ist – nur ist das Wetter hier in der Regel nicht gut.

Als wir dann fast am Ende der Straße waren, war da eine Brücke. Einspurig mit einer Höhenbegrenzung von 2,50m. Das ganze in Form eines festen Stahlrahmen. Das war eine klare Ansage. 2,50m und keinen Zentimeter mehr. 2,50m sind im Grunde genau unsere Höhe. 2,50m sollte doch klappen. Der Navigator ist also ausgestiegen, auf die Brücke gekeult, während ich den Wagen langsam vorwärts bewegte. Der Navigator gab grünes Licht, zeigte mit dem Daumen nach oben, ich gab Gas und was folgte war ein metallisches Geräusch und ein abrupter Stillstand. Man kann festhalten, dass der Wagen samt Dachgepäckträger und Dachboxen genau 2,50m hoch ist. Nur die Verschlüsse der Gurte, welche die Dachboxen auf dem Dachgepäckträger sichern, sind auch noch da. Also doch 2,55m hoch. Humphrey hing erst mal fest und ich habe dann im stärker werdenden Regen Luft aus den Reifen gelassen, auf dem Dach stehend Humphrey zum Wippen gebracht, so dass ich die Schlösser unter den Metallrahmen bekam, womit wir dann nach ein paar Minuten wieder in der Lage waren, die Brücke zu verlassen. Die Frage, ob wir die letzten Kilometer zur Küste per Fuß zurücklegen wollten, erübrigte sich angesichts des Regens und der Vorkommnisse. Wir werden also nie erfahren, was es an der Küste zu sehen gibt. Stattdessen gab es Frühstück. Definitiv zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.

Es ging also zurück Richtung Carretera Austral, nicht ohne noch einmal bei Ricardo und seinen Eltern einzukehren, einen wirklichen Latte Machiatto und natürlich eine Waffel zu genießen.

Danach ging die Rallye Austral weiter. Das Wetter wurde etwas besser, kein Regen mehr, aber immer noch Wolken. Dafür jede Menge Staub und jede Menge Schlaglöcher. Nach 122 Kilometern über das Schlachtfeld kam dann endlich Asphalt. Nicht dass Humphrey ein Problem mit der Beschaffenheit der Straße hatte, nur waren wir es, die von dieser sinnlosen Rüttelei ohne Ausblick mehr als genug hatten. Zu dem Asphalt gesellte sich dann auch endlich die Sonne und alles ergab wieder einen Sinn. Wir schaukelten durch die Natur und fingen an, ein wenig Frieden mit der Carretera Austral zu schließen. Zur rechten Zeit am rechten Ort? Noch waren wir uns nicht sicher. Wir gönnten uns erst mal zwei Tage Pause. Ein bißchen Pause gönnten sich auch die zwei Bauarbeiter, die an der Baustelle nicht den Verkehr regelten, weil sie sich gerade einen Joint angezündet hatten und von daher anderweitig beschäftigt waren. Wir waren aber tiefenentspannt, weil die Jungs für sich entscheiden müssen, ob sie gerade zur rechten Zeit am rechten Ort sind.

Unser nächstes Ziel war der hängende Gletscher im Parque Nacional Queulat. Hier wollten wir zum einen ein wenig Wandern, uns den Gletscher anschauen und die Nacht verbringen. Aus dem Asphalt wurde wieder Schotterpiste, wir schüttelten uns bei bestem Wetter entlang der Carretera Austral, bis wir plötzlich auf stehende Autos stießen. Zu unserer Freude kamen wir an eine Baustelle, bei der die Straße von 13-17 Uhr komplett gesperrt ist. Zum Glück war es schon 15:30 Uhr, so mussten wir nur 1 1/2 Stunden warten. Zur falschen Zeit am falschen Ort.

Im Anschluss ging es im Schritttempo in der Kolonne durch die kilometerlange Baustelle. Es gab Staub satt. Gut, dass wir während der zwei Tage Pause Humphrey gewaschen hatten.

Eine halbe Stunde später kamen wir an unserem geplanten Ziel an. Wir wollten nach diesem sinnlosen Tag endlich unsere Füße vertreten und uns im schönsten Licht den hängenden Gletscher anschauen. Dachten wir zumindest. Leider darf man den Park nach 17 Uhr nicht mehr betreten. Okay, noch mal rekapitulieren: Man darf nach 17 Uhr nicht mehr in den Park. Im Park befindet sich aber ein Campingplatz. Den darf man also nach 17 Uhr auch nicht mehr anfahren. Da die Straße jeden Tag bis 17 Uhr geschlossen ist, kommen aller Wahrscheinlichkeit nach jeden Tag mehrere Autos, die gerne in den Park wollen, da sie aber logischerweise erst nach 17 Uhr kommen, dürfen sie es nicht. Sehr freundlich, gut mitgedacht. Mal wieder zur falschen Zeit am falschen Ort. Wir also mit allen anderen Fahrzeugen wieder auf die Carretera Austral zurück, um uns keine halbe Stunde später wieder an einer Schlange von Autos anzustellen. Warum? Fährbetrieb, da die Straße hier von einem Erdrutsch verschüttet ist. Normalerweise sollte der Fährbetrieb auch zügig vonstatten gehen, da sich aber alle Autos schon vorher aufgestaut hatten, taten sie das hier wieder. Wieder 1 1/2 Stunden warten. Immer noch zur falschen Zeit am falschen Ort.

Zum Glück haben wir im weiteren Verlauf des Nationalparks auf einem Campingplatz noch ein einsames Plätzchen gefunden, nicht sehr prickelnd, aber angesichts der Dunkelheit und ein wenig Erschöpfung wollten wir einfach nur noch in unsere Koje klettern.

Weiter ging es auf der Carretera Austral nach Futaleufu, vorbei an Villa Santa Lucia, wo die Carretera Austral wieder gesperrt war, weil Anfang Dezember 2017 ein halber Berg abgerutscht ist und eine todbringende Schlammlawine ausgelöst hat. Die Menschen, die in Villa Santa Lucia ihr Leben gelassen haben, waren mit Sicherheit zur falschen Zeit am falschen Ort. Da wird zur falschen Zeit am falschen Ort sein, weil man auf eine Fähre warten muss, reichlich nebensächlich. In Futaleufu haben wir mal wieder ein paar Tage Pause eingelegt und waren mit Sicherheit zur rechten Zeit am rechten Ort.

Wir standen dann vor der Wahl, über Argentinien zum nördlichen Ende der Carretera Austral zu fahren, über eine Strecke, die wir schon von unserer Fahrt Richtung Süden kannten, oder aber 200km zurück zu fahren, um die als Ersatzverkehr eingerichtete Fähre zu nehmen, um die Carretera Austral weiter zu fahren. Wir haben uns für das Gesamtpaket entschieden. Man kann nicht in dieses Abenteuer gehen, und es dann nicht zu Ende bringen. Also ging es wieder zurück, vorbei an Villa Santa Lucia, ein Stück zurück entlang der Carretera, bis wir zur Küste abgebogen sind, von wo aus die Fähre am nächsten Morgen fuhr. Hier haben wir an der Küste übernachtet, neben Juliana und Dieter und ihrem fetten Mercedes Overlander, von denen wir zu einem anderen Zeitpunkt noch berichten werden, da wir ihnen im Anschluss daran immer wieder über den Weg gefahren sind. Nach fünf Stunden Fahrt entlang der Küste bei schönstem Wetter und einer tollen Aussicht, kamen wir in Chaiten an. Zur rechten Zeit die richtige Fähre genommen.

Die Bewohner von Chaiten waren 2008 definitiv nicht zur rechten Zeit am rechten Ort. Hier ist nach 9500 Jahren am 2. Mai 2008 der Chaiten Vulkan ausgebrochen und hat die Stadt zu großen Teil vernichtet. Der Ausbruch zog sich über sechs Monate. Die Bewohner wurden glücklicherweise rechtzeitig evakuiert, so dass es keine direkten Todesopfer durch den Ausbruch gab.

Bei Chaiten ist der Parque Nacional Pumalin, genau eben dieser, der auch von Douglas Tompkins ins Leben gerufen wurde. Auch wenn er mit Sicherheit nicht an den Parque Nacional Patagonia heranreichen kann, bietet er eine spektakuläre Natur, nur leider ist der Park ziemlich überlaufen und das Erlebnis wird dadurch ein wenig getrübt.

An dieser Stelle müssen wir der Alerce, dem Baum über den wir in einem unserer vorherigen Berichte despektierlich berichtet haben, unseren tiefsten Respekt bekunden und uns ganz förmlich entschuldigen: Hier im Parque Nacional Pumalin befindet sich einer der letzten intakten Alerce-Wälder. Hier kann man die Alerce sehen, wie sie ist, wenn sie zur rechten Zeit am rechten Ort wächst. Die Alerce ist definitiv so majestätisch wie die riesigen Sequoia Bäume in Kalifornien.

Weiter ging es nach zwei Nächten im Park natürlich wieder mit einer Fähre. Noch einen Tag später nahmen wir dann die letzte Fähre, die uns auf das letzte Teilstück der Carretera Austral nach Puerto Montt brachte.

Wir sind sie also gefahren diese sagenumwobene Carretera Austral. Auch wenn wir sie nicht in unser Herz geschlossen haben, ist sie mit Sicherheit ein Abenteuer gewesen. Man muss Chile an dieser Stelle auch Respekt für dieses Unterfangen zollen, weil das Bauprojekt wie ein endloser Kampf erscheint, der trotzdem ausgetragen wird. Irgendwann wird die Carretera Austral nicht mehr wie eine riesige Baustelle erscheinen und dann wird sie hoffentlich ein einziger Genuss sein, weil man während der Fahrt die Natur bewundern kann und nicht die Schlaglöcher.

In diesem Sinne, immer schön zur rechten Zeit am rechten Ort sein.

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