Patience

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Warum reisen wir überhaupt? Reisen wir, um neue Orte zu sehen, um mal da gewesen zu sein? Um einen Haken an eine Checkliste zu setzen? Das gleiche Foto zu machen, das schon millionenmal gemacht wurde und man sich in ebenso vielen Varianten im Internet anschauen kann? Um einen Selfie zu machen und der Welt kundzutun, was man für ein toller Hecht ist? Oder reisen wir gar um zu entspannen, was auch immer das sein mag? Um die alltägliche Routine mit einer anderen zu ersetzen? Vielleicht sogar um mal so richtig bedient zu werden? So im Luxus? Wir haben Vorstellungen, wir wollen vorgefertigte Bilder mit Farbe füllen, ein bisschen wie diese Kindermalbücher, in denen die Formen vorgegeben sind, was bleibt, ist sie auszumalen. Macht das Sinn?

Was ist eigentlich eine Reise? Zwei Wochen aus dem Katalog? Alles vorgefertigt? So reisen wir mehr oder weniger fast alle. Wir möchten wissen was passiert. Nichts dem Ungewissen überlassen. Die Zeit soll effektiv genutzt werden. Wir wollen uns auf keinen Fall dem Unbekannten aussetzen. Außerdem ist die Fremde schon gefährlich. Ist weit weg, eben fremd, und wir haben Angst. Wir haben Angst, nicht zu wissen wohin, Angst nicht zu wissen was als nächstes kommt. Ist schon verrückt. Angst, dass es nicht so wird, wie wir uns das vorgestellt haben.

Also warum Reisen wir überhaupt? Warum reist Du?

Wir für unseren Teil reisen, weil wir uns verändern möchten. Paul Theroux hat es in Dark Star Safari trefflich beschrieben: „You go away for a long time and return a different person – you never come all the way back.“

Es geht darum, etwas von sich zurückzulassen, und diesen Raum mit etwas Neuem zu füllen, was auch immer es sein mag. Es geht darum, in das Ungewisse zu gehen, probieren es zu begreifen und daraus eventuell etwas zu lernen – für sich. Vielleicht ist es auch etwas Privates, das man eventuell nicht teilen will, eben weil es etwas Privates ist.

Es geht um Gefühle, um Empfindungen und es geht darum, sich dem Unbekannten zu stellen und das kann man eigentlich nur, wenn man nicht weiß, was kommt.

In diesem Prozess befinden wir uns im Moment, und natürlich sind wir nicht frei von all den Dingen. Ganz im Gegenteil. Aber genau deshalb machen wir diese Reise. Im Moment geht es für uns darum, Geduld zu haben. Geduld mit uns, für alles und alle anderen. Wie wiederholte sich unser neu gewonnener Freund Jim auf unserer Reise in die Antarktis: „Pete, you need to practice openheartedness.“

Und mein lieber Herr was sind wir ungeduldig. In jeglicher Beziehung sind wir getrieben, und es ist ganz tief in uns verankert. Von daher müssen wir als Erstes die Geduld dafür aufbringen, dass alles Zeit benötigt. Das ist diese Sache, die einem immer zur Seite stehen sollte, nicht nur weil man gerade eine Reise macht.

Auch wir möchten am liebsten immer alles am besten sofort und auf einmal. Was auch immer es ist. Wir sind nicht frei von diesen vorgefertigten Bildern, wir sind nicht frei davon, dass wir das Gefühl, welches auch immer, jetzt haben wollen. Es soll Klick machen, jetzt.

Aber genau so funktioniert es nicht. Schon gar nicht beim Zoll in Valparaiso, an dem kein Weg  vorbeiführt, um Humphrey in Empfang zu nehmen. Der eigentliche Prozess, also die eigentliche Interaktion mit lebenden Personen bestand aus ca. 15 Minuten, die aber leider auf acht Stunden verteilt wurden. Beim Zoll – ich denke fast egal wo auf der Welt – geht es darum, geärgert zu werden, und darum, sich nicht ärgern zu lassen. Es geht darum, Geduld mitzubringen, und nach allem was wir gehört haben, ist der Zoll in Chile noch der netteste in ganz Südamerika.

Wir haben also gewartet und gelächelt, so gut wir eben konnten. Wir waren sogar besser im Aufbringen von Geduld als unser deutscher Zollagent, der eben als Deutscher diese schöne Ungeduld mitbrachte: „Was muss das hier eigentlich so lange dauern. Die macht das doch mit Absicht!“ Recht hatte er, aber ich glaube gerade beim Zoll ist dieses universelle Gesetz von Schwerkraft besonders sichtbar: Bist du beim Zoll und ungeduldig, dann wirst du abgestoßen, in eine äußere Umlaufbahn geschossen und dann dauert es halt länger bis die Wege sich wieder kreuzen.

Es gab dann noch einen kurzen Schockmoment: Wir haben Dinge dabei gehabt, die man in Chile nicht einführen darf. Wie zum Beispiel Chiasamen. Diese müssen dann entsorgt werden. Da aber derjenige, der für die Entsorgung von Biohazard zuständig war, um 15 Uhr Feierabend macht (wir hatten inzwischen 15.30 Uhr), hätten wir am nächsten Morgen wiederkommen müssen. Aus welchen Gründen auch immer hat die gute Dame dann aber mit uns Mitleid gehabt und alle Augen zugedrückt. Dieser Mensch, der uns vorher Stunden lang hat warten lassen, zeigte Milde und sagte: Okay, hier ist der Wisch, macht, dass ihr vom Acker kommt.

Wir müssen auch Geduld für uns aufbringen, weil wir vergesslich und hier und da sehr dämlich sind. Wir haben uns so eine super coole Wäscheleine zugelegt: Total durchdachter moderner Kram – klein, praktisch mit Ösen und schön lang. Als ich unsere Handtücher beim ersten Einsatz nach unserer ersten Nacht in Humphrey auf eben diese Leine hängte, dachte ich, dass hier auf dem Campingplatz bestimmt eine Menge Dinge einfach vergessen werden. Als der Navigator kurz vor unser Abfahrt die Handtücher einsammelte, sammelte er auch genau nur diese ein. Ein paar hundert Kilometer später musste ich an die Wäscheleine denken und fragte nach… die Wäscheleine hing noch immer auf dem Campingplatz.

Nach der dritten Nacht habe ich meine nassen Flipflops auf die Motorhaube zum Trocknen gelegt, bevor wir weiterfahren. Die sieht man da bestimmt wenn man losfährt, dachte ich. Die kann man nicht übersehen. Kann man doch.

Natürlich müssen wir Geduld für Humphrey aufbringen. Denn nach der ersten Nacht in Humphrey und keinen fünfhundert Kilometern seit unserem Wiedersehen kam auf einmal aus dem Motorraum ein sonst nicht anwesendes Geräusch. Kurz darauf leuchtete die Motorlampe. „Oh nein! Doch nicht nach fünfhundert Kilometern…“ Mir wurde kurz heiß und dann dachte ich mir, dass ich nichts an der Situation ändern kann. Ich kann sie nicht wegzaubern. Zum Glück gibt es WhatsApp, Peter Baus unser vertrauensvoller Defender Guru in der Heimat, iOvelander.com und ein Fehlerlesegerät, das wir uns noch kurz vor der Reise zugelegt hatten. Der Schlauch zum Turbolader war gerissen. Ein Ersatzteil, das wir nicht dabei hatten. Wir konnten dann aber ohne Turbolader in die nächste Stadt gurken – zum Glück war diese nur 25km entfernt – fanden eine Werkstatt, in der auch noch supernette Mechaniker waren, die gleich grinsen mussten, als sie uns sahen. Wir haben also einen Tag in der Werkstatt verbracht. Das war natürlich nicht geplant und doch war es klasse. Alle haben sich um uns gekümmert. Alle haben Fotos von Humphrey gemacht, alle haben probiert herauszubekommen, wo welcher Schlauch gerissen ist, und nach einer Stunde hatten wir den Riss auch gefunden. Dann hieß es, Geduld zu haben und zu hoffen, dass sie das Ersatzteil auftreiben können. Es wurde dann natürlich kein Originalteil, aber ein ganz ähnlicher Schlauch, der für ein Kühlsystem gedacht und daher wohl nicht ewig dem einen Bar Druck standhalten wird. Für den Moment macht er es aber. Es dauerte dann noch einmal zwei Stunden unter Mitwirkung aller Beteiligten, das nicht dafür gefertigte Teil passend zu machen. Kurz nach 19.00 Uhr am Abend war Humphrey dann wieder zusammengebaut. Ich weiß jetzt auch, wo dieser Schlauch sitzt und wie man ihn austauscht.

Das heißt, wir haben etwas gelernt, haben super hilfsbereite Menschen kennengelernt und eine Stadt gesehen, in der wir sonst nicht gehalten hätten. Den Weihnachtsmann haben wir dadurch auch endlich mal getroffen.

Ebenso müssen wir Geduld für unsere Mitmenschen aufbringen. Nachdem es für uns weiterging, regnete es dann erst einmal richtig. Den ganzen Tag. Von allen Seiten. Wir suchten uns eine Cabana (also Hütte), von denen es übrigens Millionen hier unten gibt. Dabei sind wir auf andere deutsche Touristen gestoßen, die es offensichtlich egal wo auf diesem Planten immer auch in ebensolcher Menge gibt. Diese waren auch in einem Defender unterwegs und Defenderfahrer untereinander sind eigentlich so eine eingeschworene Gemeinde. Man ist nett und freundlich zu einander. Er war erfrischend unfreundlich und bei ihr war jedes zweite Wort „geil“. Also herzlich unerträglich und das, obwohl sie schon seit Monaten unterwegs sind. Wenn dies das Ergebnis unserer Reise sein sollte, dann würden wir diese unmittelbar beenden. Wir trafen sie dann am nächsten Tag noch einmal im Nationalpark und wurden mit „Gibt’s da Campingplätze?“ begrüßt. Nach pflichtbewusstem Austausch von zwei weiteren Sätzen schauten wir uns verwundert an und fuhren weiter. Wir haben somit auf dieser Reise vermutlich schon die unfreundlichsten Defenderfahrer getroffen, die es überhaupt gibt, und eine Nacht in einer Cabana im Stockbett verbracht.

Geduld für unsere Mitmenschen, bedeutete auch Geduld für Udo. Wir sind leider mit Humphrey ziemlich leicht auszumachen. Er ist ein kleiner Star und zieht die Leute magisch an. Man wird in allerlei Gespräche verwickelt, auch in die, die man eigentlich nicht führen möchte und schon gar nicht in diesem Moment. Wie das Gespräch mit Udo. Wir waren gerade dabei, unser frisch gegrilltes Rinderfilet auf die Teller zu legen, schön neben das lecker gegrillte Gemüse, als Udo kam und meinte, dass er mal eine Frage hat. Der Navigator meinte dann recht eindeutig, wenn es ihm nichts ausmachte, neben uns zu sitzen, während wir ihm etwas voressen, könne er gerne bleiben. Ich denke, die meisten von uns hätten dies als Aufforderung verstanden, uns unser Mahl genießen zu lassen und im Anschluss noch einmal vorbeizukommen. Udo verstand das nicht so. So haben wir gegessen und Udo hat uns zugetextet, während er an seinem Bier schlürfte. Und wir haben „Openheartedness“ praktiziert…

Geduld mit all diesen Deutschen, egal wo, egal wie. Sicherlich eine fortwährende, vielleicht sogar eine der größten Herausforderungen. Wie z.B. mit Heinz, der mit seiner Frau im eigenen Auto durch Südamerika fährt. Der war im Süden von Patagonien, also da, wo wir noch hinfahren werden, und hat sich konstant über den Wind beschwert. Der Wind, der Wind, der Wind. Mein Versuch, ihm zu erklären, dass Wetter eben Wetter ist, und es doch schon etwas sehr Besonderes sei, im eigenen Auto durch ferne Länder zu reisen, wurde getrost ignoriert. Er beklagte sich weiter über den Wind. Oder mit dieser deutschen Familie, die sich aufführte, als ob keine anderen Menschen um sie herum existierten, in einer Lautstärke, die noch nicht einmal die hier heimischen Personen liefern können – und die können schon ordentlich liefern! Oder die deutschen Touristen, für die man sich schämt, weil sie sich während einer Führung durch eine archäologische Stätte, lieber mit anderen Deutschen lautstark über ihre Reise unterhielten und unseren Guide Antonella ignorierten, während sie erklärte und alle anderen probierten zuzuhören.

Natürlich benötigen wir auch Geduld, um uns an das Leben zu zweit auf 3,5qm zu gewöhnen. 3,5qm bieten nicht viel Platz, um dem anderen zu helfen. Da wir aber beide gerne helfen, macht es das Leben auf 3,5qm nicht einfacher. Ganz im Gegenteil, es macht alles schlimmer. Wir sind dabei zu lernen, wenn einer in Humphrey hantiert, dass der andere seine Griffel und seinen Mund halten soll, was uns zum nächsten Punkt bringt.

Geduld für Klugscheißer. Wir gehören beide ganz klar zu dieser Kategorie. Wie jeder Klugscheißer weiß, ist das Leben unter Klugscheißern nicht einfach. Wenn dann zwei auf engem Raum sind, die immer alles besser wissen als das Gegenüber, dann ist das Ganze wie bei Loriot und man fragt sich, wie es eigentlich mit einem nur soweit kommen konnte.

Ich brauche insbesondere auch Geduld im Supermarkt: Da wir reisen, also ständig an neuen Orten sind, ist auch der Besuch im lokalen Supermarkt immer wieder ein neues Erlebnis. Vor allem für den Navigator, der für die Ernährung zuständig ist. Ein fortwährendes Thema. Da wird jedes Regal studiert, Preise verglichen, alles gelesen, bereits im Einkaufswagen liegende Dinge durch andere ausgetauscht. Selbst wenn es die gleiche Supermarktkette mit den gleichen Produkten ist, kann man sich ja nicht sicher sein, ob es nicht etwas anderes gibt. Es muss ausgiebig recherchiert werden. All die Jahre der Erziehung im heimischen Supermarkt, den Einkaufsprozess zu optimieren sind Schall und Rauch…

Dabei stellen wir fest, dass wir nur Geduld aufbringen müssen für Dinge, die wir uns anders vorgestellt haben. Womit wir wieder beim Bilder ausmalen sind und dabei, wie festgefahren wir durch unseren optimierten Alltag geworden sind.

Wie Ihr also sehen könnt, befinden wir uns im eigentlichen Sinne auf einer Reise. Hört sich verrückt an? Gut, dann ist es genau das, was es sein sollte. Und weil wir so ungeduldig sind, fahren wir abgesehen von alledem von A nach B, keulen bergauf und bergab – und manchmal springen wir einfach ins Kalte.

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4 Gedanken zu “Patience

  1. Muchas gracias por compartir esta experiencia. Disfrutar del paisaje y de las personas que se conocen en cada lugar que visitan es sensacionl!! Y no se diga de los modelos: muy guapos.

  2. Klingt zu köstlich! Kann mir einige Szenen bildlich vorstellen! Vielleicht solltest du mal ein Buch über die deutschen Touris schreiben… das Wasser sah übrigens ziemlich flach und steinig aus! Aber scheint ja alles gut gegangen zu sein. Freuen uns schon auf nächsten Bericht! Lg aus HH

  3. Vielen Dank für diesen super Beitrag. Ich habe mich sehr über eure Geschichten amüsiert und bin von eurer Geduld und „openheartedness“ zutiefst beeindruckt. Viel Spass und Geduld weiterhin

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